Roter Zar by Sam Eastland

Roter Zar by Sam Eastland

Autor:Sam Eastland
Die sprache: deu
Format: mobi, epub
ISBN: 9783426416648
Herausgeber: Knaur eBook
veröffentlicht: 2012-09-10T22:00:00+00:00


Wenn du uns einfach hinbringen könntest«, sagte Anton. »Wir müssen uns ja nicht alles nehmen.«

»Es reicht«, sagte Pekkala.

»Kirow muss gar nichts davon erfahren.«

»Es reicht!«, wiederholte er.

Anton verstummte.

Das flackernde Laternenlicht warf ihre taumelnden Schatten an die Wände.

Anton drehte sich um und stapfte die Treppe hinauf.

»Anton!«, rief ihm Pekkala hinterher.

Sein Bruder reagierte nicht.

Es war zwecklos, ihm hinterherzulaufen. Pekkala richtete den Blick wieder auf die verstaubten Patronenhülsen in seiner Hand. Es waren 7,62-mm-Patronen, die zu einem M1895 Nagant-Revolver gehörten, einer Waffe mit einem überraschend dünnen Lauf, bogenförmigem Griff und großem Hammer. Trotz des ungelenken Aussehens war der Nagant ein Kunstwerk, dessen Schönheit erst zur Geltung kam, wenn man ihn benutzte. Er lag hervorragend in der Hand, war exakt ausbalanciert und verfügte für eine Handfeuerwaffe über eine ungewöhnliche Zielgenauigkeit.

Dass die Patronen zu einem Nagant gehörten, war an ihrer einzigartigen Form zu erkennen. Im Gegensatz zu den üblichen, aus der Patronenhülse ragenden Projektilen saß bei einem Nagant-Revolver das Projektil vollständig in der Messinghülle – was den Vorteil hatte, dass beim Abfeuern der Hülsenmundbereich der Patrone in den Lauf gedrückt wurde, wodurch sich der Spalt zwischen Trommel und Laufansatz schloss. Dadurch ergab sich nicht nur eine höhere Mündungsgeschwindigkeit, die Waffe konnte auch wirkungsvoll mit einem Schalldämpfer versehen werden. Schallgedämpfte Nagant-Revolver galten daher bald als bevorzugte Waffe von Attentätern, wie Pekkala nur allzu oft an den Tatorten feststellen konnte.

Der Lärm eines abgefeuerten Schusses in einem so beengten Raum musste ohrenbetäubend gewesen sein. Pekkala versuchte sich die Situation vorzustellen, nachdem die Waffen endlich geschwiegen hatten. Dichte Rauchschwaden, von den Wänden geplatzter Verputz. Blut, das im Staub versickert. »Ein Schlachthof«, murmelte er.

Pekkala ging hinauf und sah sich im übrigen Haus um. Auch die Wände an der Treppe waren mit Einschusslöchern übersät. Die Wachleute hatten sich also nicht kampflos ergeben. Im ersten Stock, wo die Romanows untergebracht gewesen waren, gab es vier Schlafzimmer, zwei große und zwei kleine, dazu zwei Arbeitszimmer. Eines davon hatte offensichtlich dem Hausherrn als Büro gedient; die Wände waren dunkelgrün tapeziert, in eine Wand waren Bücherregale aus dunklem Holz eingepasst. Im anderen Zimmer mit seinen pfirsichfarbenen Wänden hatte einmal eine Polsterbank gestanden, auf der die Dame des Hauses die Passanten auf der Straße beobachten konnte. Jetzt lag die Bank umgestürzt im Zimmer, eines der Beine war von einer Kugel weggerissen. Ein ovaler Spiegel hing schief an der Wand, nur ein Glaszacken steckte noch im Rahmen, der Rest lag zersplittert am Boden. Die Deckenleuchte war mit Spinnweben überzogen, an den Fensterscheiben waren noch Spuren der weißen Farbe zu erkennen. Die Weißen mussten sie abgewaschen haben, als sie das Haus besetzten, dachte Pekkala.

Nachdem er durch das ganze Haus gegangen war, blieb er auf dem Treppenabsatz stehen. Sein Blick folgte dem polierten Treppengeländer, das sich sanft geschwungen ins Erdgeschoss hinunterzog. Er versuchte sich den Zaren in dieser Umgebung vorzustellen. Manchmal hatte der Monarch, wenn er durch die langen Korridore des Winterpalasts schritt, plötzlich innegehalten und war mitten im Satz verstummt. Dann hatte er regungslos dagestanden wie jemand, der einer fernen Musik lauschte und die Melodie zu erkennen versuchte. Pekkala



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